Chronik: Gesundheitswesen am Plateau

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Der Obsteiger Dorfchronist Hubert Stecher stellt Beiträge über unseren Heimatort Obsteig auf ObsteigAktuell für alle Interessierten ins Netz.
 
Zur Geschichte des Gesundheitswesens am Mieminger Plateau.
Fotos: Chronik Obsteig

Zur Geschichte des Gesundheitswesens am Mieminger Plateau.

Conradt Schwartz hatte im Jahr 1477 eine Bauverhandlung in St. Petersberg (Silz). Der dortige Gerichtsverwalter Hanns Weingarter sollte ihm erlauben, im „viertail obstaigs in mieminger pfarr gelegen“  ein Haus zu bauen. Der gewünschte Bauplatz lag zu „Neydegk auf dem pühel“. Das Vorhaben wurde ihm bewilligt. Conradt Schwartz war laut der Urkunde der „pader zu Stift“ und weiter unten in dem Schreiben liest man, dass er auch der dortige Wirt war (Löwenwirt). Das Haus und die Hofstatt, die er damals gebaut hat, wurde noch Jahrhunderte später in der Heimatkunde Obsteigs das Schwarzbadersgut“ genannt.

Die Berufsbezeichnung „Bader“ war im ausgehenden Mittelalter im ganzen deutschen Sprachraum geläufig. In Norddeutschland wurden um 1550 sogar Berufsvereine dieser „ärztlichen Vorstufe“ gegründet. Schwartz war also Wirt und Bader. Das heißt, er konnte Leute unterbringen und bewirten, darüber hinaus war er als Bader auch heilkundig. Er hatte eine heizbare Badstube, schnitt Kopfhaare und Bärte, konnte die Leute „zur Ader lassen“ (Blut abnehmen), Schröpfköpfe zum gezielten Blutabsaugen ansetzen, er konnte sogar Wunden versorgen und einfache chirurgische Eingriffe vornehmen. Daneben wird er auch über andere Dinge der Heilkunst Bescheid gewusst haben. Er ist der erste annähernd Heilkundige auf dem Mieminger Plateau, dessen Namen wir kennen. Es gibt in der weiteren Folge noch mehr Wirte „zu Stift“ (das dann später Löwenwirt hieß), die sich „Gastgeb und Bader“ nannten.

Baubescheid1477
Baubescheid 1477 „Conrad Schwartz, pader zu stift“ (= unterstrichen).

Das frühere Baderhaus in Untermieming ist älteren Bewohnern des Plateaus vielleicht noch in Erinnerung. Der stattliche Bau beinhaltete einst eine sehr schöne Apotheke, wie Dr. Heinz Offer erzählte. Das Gebäude steht seit etwa zwei Jahrzehnten nicht mehr.

UntermiemingBaderhaus
links hinten: Das große „Baderhaus“.

Auch in Zein gab es ein Haus „beim Bader“. Noch im Jahr 1564 gab es in Mieming einen Bader namens Oswald Michele. Später wurden Männer, die man bei Krankheiten aufsuchte, „Chyrurgus“ genannt. So waren etwa Michael Rainer (1728) und Andreas Rainer (1775) in Mieming unter dieser Berufsbezeichnung tätig. Auch als die 33-jährige Theresia Auer aus Finsterfiecht am Stephanitag 1833 ihr eben geborenes Kind tötete und später in Silz Selbstanzeige erstattete, waren bei der Untersuchungskommission neben dem Richter, einem Ankläger und dem Ortsvorstand von Finsterfiecht zwei „Chyrurgi“ – aus Mieming und aus Silz – anwesend. Sie mussten wohl die Frau untersuchen.
Erst ab 1848 spricht man in Mieming von einem Arzt und Geburtshelfer. Es war Dr. Josef Stricker. Und ab 1871 ordinierte dann ein Sprengelarzt, Dr. Johann Schöpfer. Die folgenden sechs Ärzte werden wohl noch im Baderhaus in Untermieming ansässig gewesen sein: Kaßwalder, Stadler, Klotz, Höllrigl, Knabl, Lechthaler. Noch vor dem ersten Weltkrieg bauten dann die Sprengelgemeinden das Doktorhaus in Barwies, das heute noch in Betrieb ist. Zu früheren Zeiten gab es keine Krankenversicherung. Wer also ärztliche Hilfe in Anspruch nahm, musste den Doktor aus eigener Tasche bezahlen. So ist es kein Wunder, dass man nur in schlimmsten Fällen einen Arzt holte. Ein Bauer rief eher einen Tierarzt für ein krankes Tier, als einen Humanmediziner für sich oder seine Leute, sagt man. Denn ein verendetes Stallvieh oder deren mehrere konnten einen Hof in den Ruin treiben, sich selbst wollte man schon zu helfen wissen. Eine Pflichtversicherung für Bauern gibt es erst seit 1965 (für Landarbeiter seit 1926). So traf es oft zu, dass der Arzt erst zur Totenbeschau auf den Hof kam. Diagnosen über die Todesursache waren daher schwierig, oft war man auf Krankheitsbeschreibungen der Angehörigen angewiesen. Zudem waren die medizinischen Forschungen und der Ausbildungsstand der Ärzte nicht mit heutigem Standard zu vergleichen.

Daher lesen sich die Eintragungen in den Sterbematriken interessant.
Von 1787 bis 1873 gab es in Obsteig 1158 Verstorbene, von 1873 bis 1982 waren es 915. Das durchnittliche Sterbealter lag um 1800 bei 32 Jahren, im Jahr 1940 schon bei 52 Jahren. Bei Totenbeschauen  gab es (vor allem im 19. Jahrhundert) unter anderem folgende Diagnosen:
169 starben an Auszehrung (Abmagern, Schwäche – Tuberkulose, Krebs) 150 an Fraisen ( Fieberkrämpfe bei Kindern) 43 am Grimmen, 10 am Schleimschlag, weitere an Engbrüstigkeit, an Windsucht, an Organanomalie, an Magendürre, an Faulfieber, an Gallfieber, an Unterleibsentartung, an Magenentartung, an Nervenfieber, am Hitzigen Fieber, am Knochenfraß… Allein im Jahr 1834 starben 36 Obsteiger an
der Ruhr. Besondere Todesfälle: gefallen beim Landsturm, Hundebiss, vom Nachbarskind erschossen, Gewölbeeinsturz, vom Gendarm erschossen, in Bayern ertrunken, 6 Soldaten in Verona gefallen, verbrannt, Kinnbackenkrampf…

Eine ganz besondere Stellung bei der Bevölkerung nahmen die Hebammen ein. Viele gesunde Kinder waren ein großer Schatz und die Altersvorsorge für die Eltern und daher die Geburtenraten ungleich höher als heute. Daher spielte die  gute Hebamme eine wichtige Rolle im Dorf. Zu ihr hatten die Wöchnerinnen meistens auch das größere Vertrauen als zu einem Arzt. Aber trotz guter Kenntnisse und großer Erfahrung einer Hebamme starben Kinder oder auch deren Mütter während oder nach einer Niederkunft. Viel Anteil daran hatte das Kindbettfieber, das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom österreichischen Arzt Ignaz Semmelweis erkannt und bekämpft wurde. Eine Geburt war etwas auf Leben und Tod. Hebammen mussten oft gefährdeten Säuglingen die Nottaufe geben. In den Matriken liest man dann von einer „Frauentauf“.
Von 1786 bis 1982 starben in Obsteig 96 Säuglinge bei der Geburt. Waren sie nicht getauft, wurden sie früher im Friedhof in einem Geviert beigesetzt, das von der Segnung ausgespart worden war. Sie kamen nicht in „geweihte Erde“, weil man nicht wusste, ob sie in den Himmel kamen (wie Andersgläubige, Verbrecher oder Menschen, die freiwillig aus dem Leben schieden). Im genannten Zeitraum starben 17 Frauen
im Wochenbett. Hebammen hatten es daher – trotz vieler freudiger Momente – manchmal auch schwer.
Die  Frauen, die in Obsteig diesen Beruf ausübten, sind namentlich bekannt. Seit 1786 (Beginn der Pfarrmatriken in Obsteig) waren es 20 verschiedene. Die erste von ihnen war Barbara Hosp. Die Hebamme Aloisia Rappold, geboren im Jahr 1881 in Mötz, heiratete nach Obsteig und war die Großmutter von Hildegard Rappold und Veronika Kaufmann. Sie starb im Jahr 1961. Aloisia begann 1907 ihren Beruf und war bei 402 Geburten dabei, ein Kind davon starb.
104 Geburten leitete Maria Hann, geb. Riser. Die Mutter von Annelies Schennach begann ihren Beruf im Jahr 1948. Da Hausgeburten immer seltener werden, wird sie wohl die letzte Ortshebamme in Obsteig gewesen sein. Maria Hann starb im Jahr 1995.
Seit 1989 arbeitet Frau Ingrid Schmid-Stecher aus Tarrenz als Sprengelhebamme auch für den Obsteiger Bereich.
RappoldAloisia1961
Hebamme von 1907 bis 1947, Aloisia Rappold.

HannMaria1995
Hebamme ab 1948 war Maria Hann.

Zurück zu den Ärzten: Noch im 19. Jahrhundert starben Menschen an Krankheiten, die man heute gut behandeln kann. Entzündungen vieler Art – vorher tödlich – werden durch Antibiotika bekämpft, seit Fleming 1928 das Penicillin entdeckte. Schutzimpfungen verhindern die epidemische Ausbreitung ansteckender Krankheiten. Die älteste dieser Impfungen ist jene gegen Pocken, die noch vor zweihundert Jahren in
Mitteleuropa Hunderttausende hinwegrafften. Die moderne Chirurgie hatte ihren größten Aufschwung um den zweiten Weltkrieg zu verzeichnen. Die Arbeit eines Landarztes wandelte sich so langsam zum heutigen Berufsbild des Mediziners: Früherkennung, Vorbeugung und rasche Bekämpfung von Krankheiten sowie Beratung und Rehabilitation. Nach 1916 arbeitete Dr. Föger durch acht Jahre in Mieming. 1924 begann dann eine ganze Ärztedynastie ihr Wirken bis auf den heutigen Tag. Mit den Doktoren Franz, Heinz (ab 1949) und Gerhard (1979) Offer ordiniert jetzt die dritte Generation im Doktorhaus. In den frühen achtziger-Jahren kam Dr. Armin Linser dazu, es entwickelte sich eine Art Gemeinschaftspraxis.
Die Bevölkerungspyramide in den Wohlfahrtsstaaten ändert sich sehr. Die Geburtenraten gehen zurück, daneben werden die Menschen Dank der modernen Medizin immer älter. Altersbedingte chronische Krankheiten über viele Jahre fordern daher oft langzeitliche Betreuung durch Fachkräfte. Eigene Angehörige sind mit den medizinischen und pflegerischen Erfordernissen meist überlastet. Daher fassten die
Sprengelgemeiden im Frühjahr 1987 den Beschluss zur Gründung eines Gesundheits-  und Sozialsprengels. Dieser besorgt auf vielfache Art die Hauskrankenpflege durch geschultes Personal und stellt bei Bedarf auch Hilfsmittel wie Pflegebetten oder Rollstühle zur Verfügung. Außerdem liefert der Sozialsprengel auf Wunsch das „Essen auf Rädern“, das Freiwillige in die Häuser bringen.   
Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts war in der so genannten „Vogl`schen Stiftung“ in Untermieming ein Alters- und Versorgungsheim untergebracht. Durch die Notwendigkeit verschiedener Adaptierungen an zeitgemäße Erfordernisse der Altenpflege stieß das Gebäude schließlich an seine Grenzen. Der Wunsch nach einem modernen Sozialzentrum wurde daher immer größer. Dieses sollte ein „Multifunktions-Gebäude“ mit mehreren Zentren werden und ist es auch geworden. Träger der Einrichtung sind die fünf Sprengelgemeinden Mieming, Wildermieming, Obsteig, Mötz und Stams. Wohn- und Pflegeheim, betreutes Wohnen, Kindergarten, Sozialsprengel, Therapien, ein Cafe´und eine ärztliche Praxis (Sprengelarzt Dr. Armin Linser übersiedelte dorthin) sind unter einem Dach vereint. Am 11. Feber 2005 wurde das Haus
eingeweiht. Seit Oktober 2005 ordiniert im alten Doktorhaus ein weiterer Kassenarzt. Es ist Dr. Stefan Oberleit aus Götzens, der zuletzt in Mayrhofen wirkte. Bis in die neueste Zeit hatten die Ärzte eine Hausapotheke in ihrer Praxis.  Im Jahr 1997 eröffnete dann Mag. Peter Kienzl die „Sonnenapotheke“ Mieming. Alles in allem: Die gesundheitliche Versorgung  auf dem Plateau ist gut aufgestellt. Es war ja ein weiter Weg vom ersten „Siechenhaus“ in See (erwähnt 1322) bis zur prompten Versorgung auch der kleinsten Wehwehchen.

Doktorhaus-alte2005
Das alte Doktorhaus.

Doktorhaus2005
Das neue Doktorhaus.

( Quellen: Stiftsarchiv Stams, Dir. Karl Miller Aichholz: „Mieming“, Chronik Obsteig, Pfarrarchiv Obsteig)    
 
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PockenZeugnis
Schutzpocken-Impfungs-Zeugniß

Föger Maria, alt 6 Jahre, gebürtig von Wald Gemeinde Obsteig aus Tyrol ist vom früheren Impfarzte Herr Kaßwalder im Jahre 1886 den 24. Mai mit Schutzpockenstoffe geimpft worden und hat die echten Schutzpocken ordentlich überstanden.
Mieming den 7. November 1891.
Für den damaligen Impfarzt
                                        Wilh. Stadler, prakt. Arzt

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