Chronik: Kriegsende in Obsteig

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Der Obsteiger Dorfchronist Hubert Stecher stellt Beiträge über unseren Heimatort Obsteig auf ObsteigAktuell für alle Interessierten ins Netz.

 

Das Kriegsende in Obsteig – Mai 1945.

Adolf Hitler hatte sich wohl ein wenig zu viel vorgenommen. Das „Tausendjährige Reich“ endete nach einigen Jahren schmählich, aber auch unendlich traurig mit 55 Millionen Toten, ungeheuren Material- und Kulturverlusten. Deutschland musste erkennen, dass seine erfolgreiche Expansionspolitik zuerst im Jänner 1943 in Russland (Stalingrad) und im Mai dieses Jahres in Afrika ins Stocken kam, und dann im Juni 1944 die Lage durch den Einmarsch der Alliierten in Frankreich (Normandie) ernst bis aussichtslos wurde.
Unaufhaltsam drängten nun die Gegner von allen Himmelsrichtungen in das Deutsche Reich vor, ihnen voran ein unübersehbarer Tross von Flüchtlingen.

Die deutsche Führung hoffte anscheinend noch auf die „Alpenfestung“ – Tirol und die Nachbarländer. Ein Traum. Gegen Ende April 1945 hatten nämlich die Amerikaner bereits das Außerfern erreicht und waren dabei, ins Inntal vorzudringen.

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Marschkolonne von Soldaten der 44. US-Infanterie-Division, die im Außerfern Tiroler Gebiet betreten haben, stoßen am 29. April 1945 weiter nach Süden vor. Eine Gruppe von deutschen Gebirgsjägern, die sich ergeben hat, marschiert in die Gefangenschaft.

(Aufnahme: U.S. Army Photograph) TLA: Sammlung Lichtbilder L 67

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Soldaten der 44. US-Infanterie-Division, die im Außerfern Tiroler Gebiet betreten haben, stoßen am 29. April 1945 weiter nach Süden vor. (Aufnahme: U.S. Army Photograph) TLA: Sammlung Lichtbilder

Beide Fotos stammen aus den „Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs Nr. 14; Freiheit und Wiederaufbau“.

 

Daher wurde vom deutschen Wehrkommando Anordnung gegeben, den Fernpass stark abzuriegeln. Lermoos wurde von den Amerikanern wegen des Widerstandes arg beschossen, in Ehrwald konnten sie ungehindert einziehen. Dort aber brachten sie ihre Geschütze in Stellung und richteten sie auf den Fernpass und das Marienbergjoch ein.

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NS-Haus für Ausbildung und Ertüchtigung junger Männer, ca. 1944.

 

Die Obsteiger vergruben Wäsche und wertvolle oder wichtige Habseligkeiten, um sie vor Plünderungen zu schützen. Zurückströmende deutsche Soldaten und auch viel anderes Volk von Flüchtlingen kam über den Marienberg, weil der Fernpass strategisch wichtig war und daher eher angegriffen wurde.
Anfang Mai herrschte extrem schlechtes Wetter. Regen und Schneefall wechselten  ab. Von Obsteig aus hörte man dauernd Geschützdonner. Am Marienberg wurde zuerst das auf der Nordseite stehende NS-Haus für Ausbildung und Ertüchtigung junger Männer in Trümmer gelegt. Da kaum Sicht herrschte, gellten viele Geschosse an Felsen ab, alles lag unter Feuer, ein Geschoss landete unweit der Arzberger Mähder.
Viel deutsches Militär auf dem Rückzug belegte die  Häuser von Obsteig, fliehende  desertierte Soldaten versteckten sich im Wald, in Scheunen, zivile Flüchtlinge aus dem Norden suchten eine kurze Bleibe und etwas an Lebensmitteln.
Im Englandsender hörte man am Abend des 1. Mai, Westösterreich habe kapituliert. Trotzdem kämpften die Deutschen weiter. Eine große Gefahr drohte am Abend des 2. Mai, als an die Sturlbachbrücke in der Oberstraß Sprengladungen befestigt wurden, um den Weitermarsch der Amerikaner zu verzögern. Auf jeder Seite der Brücke waren 75 kg Dynamit und unter jedem Brückenbalken eine Sprengmine angebracht. Nicht auszudenken, wenn es hier eine Explosion gegeben hätte. Das Sprengkommando rückte über Nacht ab, zurück blieben zwei Mann zur Bewachung. Trotz der Wache gelang es Pfarrer Gerards mit einigen Männern, die Ladungen zu entfernen. Ein lebensgefährliches Wagnis.
Am 3. Mai um vier Uhr nachmittags rückten die Amerikaner von Holzleiten, wo noch geschossen wurde, nach Obsteig vor. Pfarrer Gerards und Ferdinand Haller gingen ihnen ein Stück entgegen, die Häuser im Dorf wurden alle mit weißen Tüchern beflaggt. Die Übergabe des Dorfes erfolgte ohne Zwischenfälle. Aber alle Feuerwaffen mussten abgegeben werden und wurden vernichtet.
Die Amerikaner benahmen sich anständig, wenn auch Panzer und andere Fahrzeuge einige Felder beschädigten. Der Kommandant und seine Soldaten besuchten auch einen Gottesdienst, den der Pfarrer eigens mit ihnen feierte. Alle bisherigen religiösen Einschränkungen der NS-Zeit wurden aufgehoben, der Religionsunterricht in der Schule begann wieder ab dem 14. Mai.

 

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Als neuen Bürgermeister setzten die Amerikaner nun Josef Granbichler ein. 
 

Zum Dank für das glimpfliche Kriegsende versprach die Bevölkerung eine jährliche Locherboden-Wallfahrt an jedem 3. Mai (oder dem nächsten Sonntag), die heute noch gehalten wird.
20 Obsteiger kehrten aus dem unheilvollen Krieg nicht mehr zurück (neun Gefallene, elf Vermisste), die anderen Soldaten kamen nach und nach aus der Gefangenschaft heim, der Letzte von ihnen, Otto Schaber (Anderler), am 29. November 1949 aus Russland.

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* kamen verspätet heim
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und Föger Josef, geboren am 24.10.1905, gestorben  am 30.09.1945 in einem Lager in Rumänien.

 

Zur Erinnerung an die Gefallenen und Vermissten und zum Dank für die eigene gute Heimkunft wurde von den Heimkehrern am 14. Oktober 1947 auf der Wankspitze ein 5 m hohes Kreuz aufgestellt.

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Auf dem Foto: Rudig Johann (?), Grutsch Ferdl, Schaber Emil, Schweigl Franz, Schweigl Richard, Thaler Hermann, Mantl Alexander

(Quellen: Imster Buch, Ehrwalder Buch, Pfarrchronik Obsteig, Kriegstagebuch der dt. Wehrmacht)