Chronik: Fliegerschicksale über Obsteig

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Der Obsteiger Dorfchronist Hubert Stecher stellt Beiträge über unseren Heimatort Obsteig auf ObsteigAktuell für alle Interessierten ins Netz.

 

Fliegerschicksale über Obsteig, 1944.

Luftkämpfe hat es im Zweiten Weltkrieg zahllose gegeben. Man denke nur an die legendäre Luftschlacht um England oder die Einnahme Kretas durch Fallschirmjäger.
Nicht zu vergessen sind die Schlachten um den Luftraum über den deutschen Großstädten.
Kleinere Geschehnisse am Rande der Kriegsschauplätze wurden von den Lenkern der Staaten und Schicksale kaum wahrgenommen und betrafen nur die lokale Bevölkerung und die Soldaten, die Befehle auszuführen hatten.
Nachdem im Mai 1943 die deutsche Wehrmacht in Nordafrika kapitulieren musste, setzten sich die Alliierten im Juli im Süden Siziliens fest und kämpften sich in Italien immer weiter nordwärts. Bald konnten sie Flugbasen errichten, von denen aus sie den Süden Deutschlands bedrohen konnten. Immer öfter flogen Jäger und Bomber über die Alpen. Viele Staffeln von 30 und mehr Flugzeugen wurden auch über Obsteig beobachtet, sie bombardierten München und andere kriegswichtige Orte in Bayern und Baden-Württemberg. Ziele waren vor allem Rüstungswerke und Verkehrseinrichtungen.
Von den deutschen Fliegerhorsten im Alpenvorland stiegen Abfangjäger auf und suchten die Bomber abzudrängen bzw. abzuschießen.
Am 12. Juli 1944 wurde eine viermotorige amerikanische Maschine bei der Bombardierung Münchens von der Abwehr getroffen und fast flugunfähig geschossen. Der Pilot hoffte noch, bis in die Schweiz zu gelangen, aber vergeblich. Über Obsteig stieg die zehnköpfige Besatzung aus und versuchte sich mit Fallschirmen zu retten. Der verlassene Bomber, eine „B24 Liberator“, flog ungesteuert einige wilde Kreise über Obsteig. Die Menschen hatten größte Angst und waren gespannt, wohin er abstürzen werde. Zum Glück war es kein Haus, sondern die Nordseite des Grünbergs. Dort zerschellte er und entfachte einen Waldbrand. Die ausgebrannte Fläche – noch Jahrzehnte danach erkennbar – nannte man „Fliegerschlag“.

 

Gruenberg1944-07-12

Mit den Fallschirmen schwebten die Amerikaner ins Inntal und landeten östlich von Silz. Einer von ihnen ertrank im Inn. Die neun Überlebenden wurden abgeführt und im Schloss Petersberg in Verwahrung gebracht.

 

SullivanRick1944vorne

Vorne sieht man Fred.R.Sullivan.

Sie seien sehr korrekt behandelt worden, sagte einer von ihnen später. Nach dem Zwischenstopp und ersten Einvernahmen in Petersberg wurden sie wahrscheinlich in das Kriegsgefangenenlager „Stalag Luft“ nach Norddeutschland gebracht.
Einer aus der Bomberbesatzung war Fred.R.Sullivan. Am Tag des Absturzes kam daheim in Amerika sein Sohn Richard zur Welt. Fred besuchte mit ihm später einmal die Schauplätze, die er im Krieg erlebt hatte. 1992 starb er. Sohn Richard („Rick“) ist heute ein international bekannter Herzspezialist und geht den Spuren seines Vaters immer noch nach. 2009 war er auch in Obsteig und nahm Einsicht in die Notizen, die in der Chronik enthalten sind. Als er auf einem Foto seinen Vater als Gefangenen erkannte, kamen ihm die Tränen. An der Absturzstelle des Bombers fand Sullivan im Herbst noch einige Reste der Maschine und nahm sie als Andenken an seinen Vater mit.

Nach dem Bomberabsturz vom 12. Juli 1944 war der Krieg natürlich noch nicht zu Ende und auch die Luftkämpfe über dem Oberland und dem Außerfern gingen unvermindert weiter.
Nach einem Gefecht am 19. Juli 1944 über Obsteig landeten zwei Amerikaner mit Fallschirmen am Grünberg und im Zwischensimmering. Sie wurden gefangen.
Sehr dramatisch verlief der 3. August. Zahlreiche Staffeln amerikanischer Bomber in der Stärke von je 25 bis 35 viermotoriger Maschinen überflogen Obsteig in Richtung Norden. Sie bombardierten an diesem Tag Friedrichshafen. Auf dem Rückflug gab es harte Kämpfe über dem Außerfern und der Miemiger Kette. Ein Schwarm von etwa 16 deutschen Maschinen war von Schongau aufgestiegen und griff die US-Bomber an. Das Gefecht erstreckte sich über ein Gebiet ungefähr von Weißenbach bis zur Zugspitze, der Mieminger Kette und dem Mieminger Plateau. Sowohl die amerikanische Staffel als auch der deutsche Gefechtsverband hatten Verluste zu beklagen. Die schnellen deutschen Maschinen vom Typ FW (Focke-Wulf) 190 setzten den schweren amerikanischen B24 Liberators sehr zu.
In der Nordseite der Marienbergspitzen (in der „Schwärze“) ging ein Bomber nieder und zerschellte. Im Gemeindegebiet von Obsteig landeten 20 Fallschirmjäger, zwei davon verletzt. Im Marienberg lagen zwei Tote, einer im Unterhagtal und einer in Richtung Grünstein, beim „Großen Stein“. Sie wurden an Ort und Stelle begraben. Lange Zeit liegt im Brendlkar nördlich der Griesspitzen das Stahlskelett eines Fliegers.
In Pflach bei Reutte gibt es einen Kriegerfriedhof, in dem viele gefallene Piloten beerdigt sind.
Unter den Piloten des deutschen Verbandes war auch der 22jährige Unteroffizier Hans Joachim Scholz aus Neustrelitz nördlich von Berlin. Auch er starb bei diesem Einsatz. Mit seiner FW 190 raste er in die Westflanke der Wankspitze. Ob er davor angeschossen worden und die Maschine nicht mehr zu steuern war, weiß man nicht. Denn von ihr und dem Piloten war fast nichts mehr übrig. Teile der Maschine blieben im Fels stecken, von Scholz selbst konnte nur mehr wenig geborgen werden.
Die sterblichen Überreste des Piloten wurden von Soldaten in einem Sarg abgeholt und weggebracht, niemand weiß, wohin.
Unweit der Lehnberghütte wurde eine Gedenkstätte für den Unteroffizier gestaltet.
Von einem Holzzaun umgeben stand an einem großen Baum eine geschnitzte Holztafel mit religiösen Symbolen und den Daten des Gefallenen (Scholz hatte einen Ausweis der Hitlerjugend bei sich). Die vier Rohre der Bordgeschütze – sie hatten in der Felswand gesteckt – standen bei der Tafel. Am Baum hing ein Kreuz und innerhalb des Zaunes lagen einige Teile des Fliegers. Doch nach und nach wurde dieses „Fliegergrab“ von Wanderern fast völlig geplündert. Die Gedenktafel brachte man schließlich hinauf zur „Lacke“, wo sie noch steht.

Quellen: Journal des ehemaligen Forstamtes Obsteig, Aufzeichnungen eines Überlebenden der Luftkämpfe sowie Mitteilungen von Dr. Rick Sullivan, USA


LiberatorB24  NationalMusuem-US-Air-Force 

Liberator B24
Quelle: PD-USGov-Military-Air Force


Focke-Wulf Fw 190 NationalMusuem-US-Air-Force 

FW-190
Quelle: National Museum of the U.S. Air Force

SullivanRick2009

Besuch des Rick Sullivan 2009 in Obsteig (Franz Rudig, Hubert Stecher, Rick Sullivan und ..)

 

StehleScholzJoachim
Stele Hans Scholz (auf der Lacke)

FliegergrabLehnberg1982
Fliegergrab 1982 (Lehnberg)

 

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