Ausgabe: vom 16.2.2006/28

 

 

Vom Rossknecht zum Entdecker: Seine Wahlheimat Obsteig würdigt den „Nordpolfahrer“ Johann Haller

 

Ein Tiroler, erprobt in Eis und Kälte

 

Heute vor hundert Jahren starb der Arktisfahrer Johann Haller. Das größte Abenteuer seines Lebens führte den Tiroler ans eisige „Ende der Welt“.

 

OBSTEIG (sd). Am 10. April 1874 ereignet sich ein dramatischer Zwischenfall: Der Matrose Zaninovich stürzt bei einer Erkundungsfahrt samt Hundeschlitten in eine Gletscherspalte. Eine Rettungsaktion läuft an. Im Tagebuch des Expeditionsteilnehmers Johann Haller liest sich dieser Kampf um Leben und Tod nüchtern: „Ich werde in die Gletscherspalte abgeseilt, wo ich den Matrosen und die Hunde noch lebend angetroffen habe. Ich habe sie nacheinander angeseilt und hinaufziehen lassen.“

 

„Haller-Jahr“ 2006

Der damals 30-jährige Tiroler scheint so gewesen zu sein wie sein Schreibstil: schlicht und wortkarg. Doch erlebte er Abenteuer in einer Weltgegend, von der zu dieser Zeit kaum ein Tiroler auch nur gehört hatte. Heuer, zum 100. Todestag, erinnert sich Hallers spätere Heimat Obsteig an ihren wenig bekannten „großen Sohn“. In der Gemeinde auf dem Mieminger Plateau wurde ein „Haller-Jahr“ mit zahlreichen Veranstaltungen ausgerufen. Dem Arktis­fahrer ist auch eine Sondernummer der Dorfzeitung „Nuis Schmalz“ gewidmet.

 

Rossknecht und Soldat

Johann Haller wurde in St. Leonhard im Passeier geboren und war Rossknecht gewesen, ehe er in den Militärdienst trat. Dort fiel er dem späteren Expeditionsleiter Oberleutnant Julius Payer auf. Als dieser im Jahr 1872 mit dem Forschungsschiff „Tegetthoff“ aufbrach, um nördlich von Sibirien eine Passage nach Ostasien zu suchen, überredete er Haller, die Expedition als Bergsteiger, Jäger und Hundeführer zu begleiten.

In der lebensfeindlichen Region nahe dem Nordpol erlebten die österreichischen Entdecker in Dunkelheit und Kälte viele bange Monate und dramatische Situationen. Mehr als ein Jahr lang war ihr Schiff im driftenden Packeis eingeschlossen. Die lange gesuchte nördliche Wasser-straße nach Osten fanden auch die Österreicher nicht, dafür eine unbekannte Inselgruppe, die sie zu Ehren des Kaisers Franz-Josef-Land nannten. Zur Erkundung der Eiswüste unternahmen Haller und seine Kameraden Schlittenfahrten von vielen hundert Kilometern, die sie an die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit führten.

Schließlich mussten die Expeditionsteilnehmer ihr Schiff im Packeis zurücklassen. Nur mit Mühe erreichten sie in drei Beibooten die Küste des russischen Nowaja Semlja. Haller schrieb in sein Tagebuch: „Es sind jetzt gerade zwei Jahre verflossen, seitdem wir trockenes Land betreten haben.“.

 

K. k. Förster in Obsteig

Österreich-Ungarn feierte die Heimkehrer groß. Alle wurden in den Staatsdienst übernommen. Der in Eis und Kälte erprobte Tiroler Johann Haller entschied sich für den Forstdienst und bekam die Försterstelle in Obsteig. Er gründete eine Familie und führte fortan das beschauliche Leben eines geachteten k. k. Staatsbeamten. 1881 scheint er als Gründungsmitglied der Feuerwehr Obsteig auf.

Von seiner großen Fahrt scheint Haller in den dreißig Jahren, die er bis zu seinem Tod am 16. Februar 1906 im Oberländer Dorf verbrachte, kein besonderes Aufheben gemacht zu haben. Lediglich sein Grabstein auf dem Friedhof von Obsteig deutet das große Abenteuer seines Lebens an: Unter seinem Namen prangt die Zeile „Nordpolfahrer 1872-1874“.

 

 

Johann Haller im Jahr 1899.

 

Viele Monate lang saß das Forschungsschiff „Tegetthoff“ am Polarkreis im Packeis fest.

 

 

Johann Hallers Grabstein in Obsteig. Bilder: Nuis Schmalz/Faimann; ÖStA